Harald Rau – ein Portrait

Ein Oberbürgermeisterkandidat im Portrait

Vor mehr als zehn Jahren hat es Harald Rau aus dem Süden Deutschlands an die Ostfalia Hochschule gezogen. Jetzt kandidiert der 55-jährige Professor für Kommunikationsmanagement ausgerechnet in der Stadt für das Amt des Oberbürgermeisters, in der er eigentlich nie landen wollte – Salzgitter.

Oberbürgermeisterkandidat Harald Rau

Es ist eine Situation, wie sie in diesem Wahlkampf schon so oft stattgefunden hat und wahrscheinlich noch öfter stattfinden wird. Harald Rau trifft sich mit seinem Wahlkampfteam. Natürlich im Sinne der Corona-Verordnungen nicht Auge in Auge, sondern im digitalen Raum. Es ist die Vorbereitung auf die Wahlkampfzeit. Knapp 15 Menschen sitzen vor ihren Bildschirmen und haben sich aus ganz Salzgitter zugeschaltet. Die Plakatgestaltung steht an und das Budget für Social-Media-Werbung muss abgesteckt werden. Gelegentlich betritt eine Person die Konferenz, eine andere muss schnell wieder zurück in die Ausschusssitzung. Fünf Minuten später sieht sie sich gezwungen, wieder einzuschalten. Es gibt noch Klärungsbedarf.

Harald Rau sitzt nämlich zwischen den Stühlen. Der unabhängige Oberbürgermeister-Kandidat wird von SPD und Bündnis 90/Die Grünen unterstützt. Immer wieder kommen Diskussionen auf: Wer bezahlt diese Aktion? Werden QR-Codes auf die Plakate gedruckt? Wurde in kleiner Runde nicht etwas anderes beschlossen? Der Kopf des Wahlkampfteams bleibt aber ganz gelassen. Graue Haare und grauer Bart. Eine Brille, wie sie einem Professor zusteht. Dazu ein begeistertes Lächeln, das die Zähne zum Vorschein bringt. Harald Rau ist präsent. Er moderiert und delegiert. Die Themenexperten werden explizit angesprochen. Das Team verheddert sich in Einzelheiten? Rau verweist in die Kleingruppe. Er will ein Kandidat für alle sein und hat schnell für sich erkannt, was das bedeutet: Als Oberbürgermeister ist er Moderator.

Eine Rolle, die ihm nicht fremd ist: Studiengangkoordinator des Kommunikationsmanagements an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften und etwa 350 realisierte Projekte aus dem Bereich der Unternehmenskommunikation. Dazu kommen Beschäftigungen als Filmproduzent, Autor und Journalist. Der kleine Einblick in die Vita zeigt, dass Harald Rau Erfahrungen mitbringt. Nur mit Verwaltung hatte er bislang nichts am Hut. Von einem politischen Amt fehlt auch bislang jede Spur. Noch nicht einmal eine Bewerbung für ein politisches Mandat kann der 55-jährige Professor vorweisen. Sorgen macht sich Rau deswegen aber keineswegs. Die Verwaltungsexperten säßen bereits in den Ämtern. Was ein Oberbürgermeister in seinen Augen mitbringen muss, sei vor allem eines: Richtungskompetenz. Und darin ist sich Harald Rau sicher. „Prozesse managen, Aufgaben priorisieren, das kann ich.“ Der Unabhängige versteht sich als eine Chance auf Veränderungen für Salzgitter.

Dennoch wäre er von allein niemals auf den Gedanken gekommen, der oberste Repräsentant für die Stadt zu werden. Denn es kam, wie es immer kam. Seine besten Entscheidungen wurden seit jeher von außen an ihn herangetragen. Wären die SPD und Bündnis 90/Die Grünen nicht auf den Professor zugekommen, gäbe es den Kandidaten Rau sehr wahrscheinlich heute nicht. Seine Bedingungen: unabhängig und nur für mehrere Parteien. Redet der Professor von seiner Arbeit, tritt ein Leuchten in seine Augen. Kein Wunder, dass er sich die Entscheidung, die Professur bei Erfolg zu beurlauben, keinesfalls leicht gemacht hat. Immerhin baute Rau maßgeblich den Studiengang Medienmanagement mit auf und zeichnet heute verantwortlich für die Forschungsprojekte des KomMa-Teams an der Ostfalia. Das bringt einen vollen Terminkalender mit sich.

Kommt der Dozent ins Erzählen, wandert die Brille von der Nase oder der Haarlocke nicht selten zwischen die Finger. Mit beiden Händen wird unterstützend gestikuliert. Der 55-Jährige scheint immer aufgeweckt und voller Energie – und gleichzeitig rastlos, fast schon gehetzt. „Effizienz-Junkie“, beschreibt sich der Medienexperte mit einem kleinen Augenzwinkern selbst. In Raus Leben gibt es schließlich mehr als nur die Arbeit. Es ist ihm wichtig, sich Freiräume zu schaffen. Freiräume für den einjährigen Sohn. Der Familienvater genießt Spaziergänge um den Salzgittersee, Besuche von Theatern und Museen und musiziert nicht zuletzt auch gerne mal. Mehr, um in Übung zu bleiben und nicht so stetig, wie es notwendig wäre. Aber immerhin. Letztens nannte ihn ein Freund Kulturmensch. Wer Harald Rau betrachtet, sich mit ihm unterhält, möchte zustimmen. Kulturmensch passt.

Salzgitter trägt hingegen einen Spitznamen, der nur zu gut bekannt ist – Salzghetto. „Eine Stadt, in der Kultur kleingeschrieben wird.“ Raus Worte. Auf den ersten Blick ergibt das ein Kontrastprogramm, das größer nicht sein könnte. Ein Akademiker und eine Arbeiterstadt. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, sehen seine UnterstützerInnen in Rau einen Neubeginn für das selbsternannte Ghetto. Ein Satz fällt immer wieder: „Wenn du kein Geld hast, brauchst du Ideen.“ Es gehe um Überwindung. Überwindung des Selbstbildes, Stiftung von Identifikation, Besinnung auf eine Vielseitigkeit, welche Salzgitter auszeichne. Der Unabhängige möchte Salzgitters EinwohnerInnen ermuntern, sich ein Geschichtsbewusstsein zu schaffen, auf das sie stolz sein können. Denn Salzgitter verkaufe sich unter Wert. Von einer Modellstadt ist die Rede, von regionaler Zusammenarbeit im kulturellen Raum. Von einer Stadtentwicklung, die festmacht, wie die SalzgitteranerInnen in Zukunft leben wollen. Rau steht damit vor einer Aufgabe, die in eine ganz andere Kerbe schlägt als seine bisherigen Stationen es taten. Angst habe er keineswegs, aber: „Ich habe Respekt vor der Aufgabe und vor dem Amt. Das ist etwas anderes. Ich bin überzeugt davon: Respekt muss man haben, wenn es gut werden soll.“

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